Phänologischer Kalender: Gärtnern im Rhythmus der Natur

Normalerweise unterteilen wir das Kalenderjahr in vier Jahreszeiten. Die Natur zeigt aber eine weitere Möglichkeit, die sich als Phänologischer Kalender bezeichnet. Er unterteilt das Jahr in zehn Jahreszeiten, die sich nach Beobachtungen aus der Pflanzen- und Tierwelt richten. Wir erklären, was es mit dem Phänologischen Kalender auf sich hat.

Ein Gartenjahr, zehn Jahreszeiten

 Unser Kalenderjahr besteht in der Regel aus vier Jahreszeiten, die an festgelegten Terminen beginnen und enden. Der Phänologische Kalender kennt hingegen zehn Jahreszeiten und bindet diese nicht an fixe Daten.

Die phänologischen Jahreszeiten orientieren sich an natürlichen Erscheinungen, die sich in der Pflanzen- und Tierwelt beobachten lassen. Sie betrachten den Austrieb, die Blüte, die Fruchtbildung und den Blattabwurf bestimmter Pflanzen, den sogenannten Zeigerpflanzen.

Diese speziellen Pflanzen zeigen sowohl den Anfang als auch das Ende einer jeden phänologischen Jahreszeit an. Die Blüte des Schwarzen Holunders ist beispielsweise Vorbote des Frühsommers, der durch die Blüte von Linden in den Hochsommer übergeht.

 

Regionale und jährliche Unterschiede

Die zehn Jahreszeiten unterscheiden sich abhängig vom Jahr und der Region in ihrem Beginn sowie ihrer Dauer. So verschieben sich die Jahreszeiten von Jahr zu Jahr, beginnen früher oder enden später. Auch der Beobachtungsort zeigt deutliche Unterschiede, die im Fall der Holunderblüte in einer Abweichung von bis zu sechs Wochen bestehen können.

Genau diese Differenzen legen den Phänologischen Kalender aber ideal auf die lokale Entwicklung der Natur aus. In der Folge besitzt er sowohl für milde als auch für raue Regionen Gültigkeit und gilt sowohl im Norden als auch im Süden. Als flexibler Kalender stellt er Naturerscheinungen in den Vordergrund, die regional betrachtet sehr genaue Daten liefern.

 

Gärtnern nach dem Phänologischen Kalender

Für Gartenliebhaber und Hobbygärtner fällt die natürliche Einteilung der Jahreszeiten besonders interessant aus. Gartenarbeiten werden hier nicht an einen bestimmen Termin gebunden, sondern stehen auf dem Plan, wenn die Natur sich für die jeweilige Arbeit bereit zeigt.

Blühen die Forsythien freuen sich etwa Rosen über einen Rückschnitt und eine Düngergabe. Die Blüte des Flieders indiziert, dass empfindliche Kübelpflanzen ihr Winterquartier nun verlassen und an ihren Sommerstandort umziehen können.

Mithilfe weiterer Zeigerpflanzen lassen sich alle Gartenarbeiten zur richtigen Zeit in der Natur erkennen. Bauernregeln wie "Blüht der Huflattich, können Möhren und Bohnen gesät werden" verlassen sich bereits seit Jahrhunderten auf die Naturerscheinungen und lassen sich bei Pflanzung, Pflege und Ernte von der Natur leiten.

 

Von einer Bauernregel zur Wissenschaft

Der Phänologische Kalender leitet sich von der Phänologie ab, die sich als eine "Lehre der Erscheinungen" versteht. Die einstige Bauernregel hat sich inzwischen zu einer Wissenschaft weiterentwickelt, die sogar der Deutsche Wetterdienst (DWD) einsetzt.

An rund 1.300 Beobachtungsstellen werden die gewünschten Beobachtungen aus der Pflanzen- und Tierwelt in regelmäßigen Abständen gemeldet und die Ergebnisse in Form einer Phänologische Uhr wöchentlich veröffentlicht. Insbesondere die Entwicklung der Zeigerpflanzen spielt eine tragende Rolle und zeigt im Vergleich der letzten Jahrzehnte eine Verschiebung der Jahreszeiten.

 

Blüten und Blätter treiben frühzeitiger aus, die Fruchtreife beginnt früher und der Laubabwurf erfolgt später. Insgesamt hat sich die Vegetationsperiode um durchschnittlich 14 Tage verlängert, was sich wahrscheinlich auf den Klimawandel zurückführen lässt.

 

Die Phänologie betrachtet jedoch nicht nur die Entwicklung der Pflanzenwelt, sondern schöpft auch aus der Tierwelt wertvolle Daten. So gelten etwa das Eintreffen der ersten Schwalben und das Schlüpfen von Marienkäferlarven als zuverlässige Indikatoren.

Zehn phänologische Jahreszeiten und ihre Zeigerpflanzen

Der Phänologische Kalender umfasst nicht vier, sondern zehn Jahreszeiten:

  • Vorfrühling
  • Erstfrühling
  • Vollfrühling
  • Frühsommer
  • Hochsommer
  • Spätsommer
  • Frühherbst
  • Vollherbst
  • Spätherbst
  • Winter

 

Phänologischer Frühling

Der phänologische Frühling besteht aus Vorfrühling, Erstfrühling und Vollfrühling. Der Vorfrühling beginnt mit der Blüte von Christrose, Haselnuss, Huflattich, Krokus, Kornelkirsche, Leberblümchen, Märzenbecher, Salweide, Seidelbast, Schlüsselblume, Schneeglöckchen, Schwarzerle, Winterjasmin und Winterling. In der Tierwelt lassen sich Amseln beim Nestbau beobachten, während Feldlerchen und Stare aus Ihren Überwinterungsgebieten zurückkehren. Maulwürfe werfen die ersten frischen Hügel auf und Hummeln erfreuen sich an Frühlingsblühern.

Mit dem Blühbeginn der Forsythien endet der Vorfrühling und geht in den Erstfrühling über. Ahorn, Blausternchen, Birnen, Buschwindröschen, Johannisbeeren, Löwenzahn, Kirschen, Narzissen, Pflaumen, Schlehen, Stachelbeeren und Tulpen zeigen ihre ersten Blüten. Die Blätter von Birken, Buchen, Johannisbeeren, Haselnuss, Linden, Rosskastanien und Stachelbeeren beginnen auszutreiben. In der Tierwelt kehren die Schwalben zurück, Rotschwänzchen beginnen mit ihrer Brut und Wild- und Honigbienen lassen sich beim Nektarsammeln beobachten.

Die Blüte von Apfelbäumen, Bärlauch, Ebereschen, Fliedern, Himbeeren, Maiglöckchen, Löwenzahn, Rosskastanie und Waldmeister lassen den Vorfrühling schließlich in den Vollfrühling übergehen. Während die Blätter von Eichen, Eschen, Hainbuchen und Weinreben austreiben, lassen sich die ersten Rufe des Kuckucks vernehmen. Gleichzeitig beginnen Marienkäfer zu fliegen und Bilche, wie die Haselmaus und der Siebenschläfer, erwachen aus ihrem Winterschlaf.

 

Phänologischer Sommer

Auf den phänologischen Vollfrühling folgt der Sommer, den der Phänologische Kalender in Frühsommer, Hochsommer und Spätsommer unterteilt. Im Frühsommer zeigen sich die Blüten von Hundsrosen, Klatschmohn, Pfingstrosen, Robinien, Schwarzem Holunder, Waldgeißbart, Weißdorn und zahlreichen Wiesengräsern. Neben Heuschnupfen werden viele Gartenfreunde auch das Reifen der ersten Erdbeeren sowie Süßkirschen bemerken. Singvögel beenden ihre erste Brut und am Abend lässt sich das Zirpen von Grillen vernehmen.

Sobald sich Hortensien, Kartoffeln, Lavendel, Liguster, Linden und Wegwarte mit ihrer Blüte anschließen, geht der Frühsommer in den Hochsommer über. Neben Johannisbeeren und Stachelbeeren reifen nun späte Erdbeersorten und frühe Himbeeren. Während Wintergerste und Winterweizen auf den Feldern erntereif werden, beginnen Glühwürmchen zu fliegen. Maulwürfe zeigen sich aktiver und Frösche geben nächtliche Konzerte.

Blühen Dahlien, Goldrute, Heidekraut und Herbstanemonen, beginnt der phänologische Spätsommer. Er lässt frühe Äpfel, Felsenbirnen, Holunderbeeren, Mirabellen, Pfirsiche und einige Getreidearten reifen. In der Tierwelt treffen Hobbygärtner vermehrt Libellen an und werden nicht selten von einer zunehmenden Population an Stechmücken gequält.

 

Phänologischer Herbst

Der Frühherbst, der den phänologischen Herbst einleitet, lässt sich am besten durch den Zug der Hausschwalben wahrnehmen. Während Herbstkrokusse und Herbstzeitlose ihre Blüten zeigen, beginnt der Obstgarten mit der Fruchtbildung. Äpfel, Birnen, Brombeeren, Hagebutten, Haselnuss, Holunderbeeren, Kornelkirschen, Sanddorn, Weißdorn und Zwetschgen beginnen zu reifen.

Sie werden im Vollherbst von blühenden Herbstastern und der Laubverfärbung vieler Bäume abgelöst. Während sich Stare zum Abflug sammeln, beginnen späte Äpfel, Bucheckern, Eicheln, Kastanien, Quitten und Walnüsse zu reifen.

Der Spätherbst beginnt mit dem Laubabwurf der meisten Laubbäume. Lediglich das Laub der Eiche fängt erst jetzt mit einer Verfärbung an. An Wildsträuchern wie der Hagebutte und der Schlehe finden sich noch Früchte. Gartenfreunde können Eichhörnchen beim Anlegen ihrer Vorräte beobachten und werden Igel auf der Suche nach einem Winterquartier antreffen.

 

Phänologischer Winter

Der phänologische Winter beendet das Jahr des Phänologischen Kalenders als zehnte Jahreszeit. Er beginnt, sobald die Eichen ihr Laub verlieren und Christrosen, Winter-Jasmin sowie Zaubernuss als Winterblüher farbenfrohe Akzente im Garten setzen. In der Tierwelt treffen Gartenfreunden Eichhörnchen nur noch an, wenn diese in einer kurzen Zeitspannen Futter aus ihren Vorräten holen. Futterplätze im Garten werden nur noch von Vögeln besucht, die in der jeweiligen Region überwintern. Beginnt schließlich der Haselnuss wieder zu blühen, schließt sich der Kreislauf der Jahreszeiten und der phänologische Frühling beginnt erneut.